Berliner Friedhöfe als gemeinsamer Lebensraum für Menschen und Natur

Besuchsgründe, heilsame Naturerfahrungen und Vorlieben für Friedhofsmerkmale

Beitrag von: Tanja M. Straka, Maren Mischo, Konstantin J.S. Petrick, Ingo Kowarik (TU Berlin)

Im wachsenden Berlin werden Grünflächen für die Gesundheit der Stadtbewohner:innen und die Anpassung an den Klimawandel immer wichtiger. Dies betrifft auch Friedhöfe, die nicht nur Begräbnisstätten sind, sondern auch grüne Oasen in der Innenstadt mit einer oft reichen biologischen Vielfalt. Um das Potenzial von Friedhöfen für Berlins grüne Infrastruktur zu nutzen, sollten Planende wissen, warum Menschen Friedhöfe besuchen und welche natur- und kulturbezogenen Merkmale von Friedhöfen ihnen dabei wichtig sind. Dazu haben wir im Juni 2020 eine Online-Umfrage mit 627 Teilnehmenden aus Berlin durchgeführt. Untersuchungsansatz und statistische Auswertung folgen etablierten sozialwissenschaftlichen Methoden.

Forschungsfragen und Ergebnisse

Im Juni 2020 haben wir eine Online-Umfrage mit 627 Teilnehmenden aus Berlin durchgeführt. Untersuchungsansatz und statistische Auswertung folgten etablierten sozialwissenschaftlichen Methoden, die in der wissenschaftlichen Studie nachgelesen werden können.

Wir verfolgten 5 Forschungsfragen:

Frage 1: Warum werden Friedhöfe in Berlin besucht?

Die häufigsten Gründe für einen Friedhofsbesuch waren (Abb. 1): Naturerlebnis (57%), Trauer/Gedenken (54%) und historisches Interesse (52%). Ältere Teilnehmende besuchten die Friedhöfe im Vergleich zu Jüngeren häufiger zum Trauern oder aus historischem Interesse.

 

Frage 2:  Welche natürlichen und kulturellen Friedhofselemente sind wichtig?

Bei Friedhofsbesuchen wurden Naturgeräusche wie Vogelgesang und die Beobachtung von Tieren am meisten geschätzt (Abb. 2). Darauf folgte die Wahrnehmung von Ruhe und wenig Menschen. Auch Vegetationsmerkmale wie alte Bäume und Blumen waren wichtig. Andere Merkmale wie Schatten und Rasen sowie kulturelle Friedhofskomponenten wie Kapellen oder Grabmäler wurden als weniger wichtig eingeschätzt.

 

Frage 3: Wie werden unterschiedlich gepflegte Flächen und abgestorbene Baumstämme bewertet?

Den Befragten wurden drei Bilder vorgelegt, die Friedhofsbereiche mit gepflegten Rasen, einer Wiese sowie wilde Bereiche zeigen. Von jedem Bild gab es eine Variante, in die ein alter, abgestorbener Baumstamm eingefügt war (Abb. 3). Die Befragten bevorzugten die Wiese und schätzen den wilden Bereich mehr als den gepflegten Rasen. Überraschenderweise hatte das Vorhandensein von Totholz keinen Einfluss auf die Bewertung der drei Friedhofsflächen.

 

Frage 4: Fördern Naturelemente auf Friedhöfen heilsame und spirituelle Erfahrungen?

Naturelemente auf Friedhöfen vermitteln häufig heilsame und spirituelle Erfahrungen bei Friedhofsbesuchen. Besonders wichtig waren für die Befragten: "Bewachsene Grabstellen bringen mir den Kreislauf des Lebens nahe"; "Alte Bäume helfen mir, meine Trauer zu verarbeiten" und "Wenn ich auf einer Lichtung eines Friedhofs stehe, fühle ich Hoffnung". Hier waren es insbesondere Friedhofsbesucher, welche aufgrund von Trauer auf Friedhöfen sind, welche Trost in alten Bäumen finden („Alte Bäume helfen mir, meine Trauer zu verarbeiten“).

 

Frage 5: Welche Rolle spielt der persönliche Hintergrund bei Friedhofsbesuchen und den Vorlieben dabei?

Die statistische Auswertung ergab, dass Befragte mit unterschiedlichen demographischen und soziokulturellen Merkmalen Friedhöfe aus unterschiedlichen Gründen besuchen und teilweise unterschiedliche natürliche und kulturellen Merkmale von Friedhöfen bevorzugen.

Abb.1: Welche Gründe sind für Friedhofsbesuche in Berlin wichtig (1875 Antworten von 627 Befragten)?

 

Abb.2: Wie wichtig sind verschiedene Natur- und Kulturmerkmale von Friedhöfen für Besucher:innen?

 

Abb.3: Unterschiedliche gepflegte Bereiche von Friedhöfen, nach deren Wertschätzung gefragt wurde (jeweils mit und ohne eingefügten toten Baumstamm)

Schlussfolgerungen für die Praxis

 

Unsere Studie zeigt, dass Berliner:innen Friedhöfe oft als Orte der Natur besuchen, viele Naturmerkmale dort schätzen und damit positive Erfahrungen verbinden. Hierbei ist insbesondere wichtig, dass Menschen, die Friedhöfe aus unterschiedlichen Gründen besuchen, durchaus unterschiedliche Vorlieben für Natur- und Kulturmerkmale von Friedhöfen haben können.

Als Konsequenz sollten urbane Friedhöfe als multidimensionale Orte in Berlin erhalten und so entwickelt werden, dass sie unterschiedlichen Bedürfnissen ihrer Besucher:innen gerecht werden und gleichzeitig die biologische Vielfalt fördern. Hierzu kann mehr Naturentwicklung zugelassen und Rasen z.B. in Wiesen umgewandelt werden. Dass die Teilnehmenden unserer Studie die Anwesenheit eines alten, toten Baumes in unterschiedlich gepflegten Grünflächen zumindest tolerieren, deutet darauf hin, dass solche Wildniselemente verstärkt in Friedhöfe integriert werden können. Hinweise auf deren Bedeutung für Insekten und Höhlenbewohner sind dabei förderlich.

 

Insgesamt unterstützt unsere Studie planerische Ansätze, Friedhöfe als gemeinsame Lebensräume von Menschen und Natur in das Grünsystem Berlins zu integrieren – auch wenn nicht mehr überall Begräbnisstätten benötigt werden.

Quellen:

Graphik 1 & 2: eigene Fotos, Graphik 3: eigene Darstellung nach „Geoportal Berlin/ [Friedhofsbestand Berlin]“

Abb 1 & 3: eigene Darstellung, Abb 2: eigene Fotos

Titelbild: Marcus Witte

Technische Universität Berlin, Institut für Ökologie, 12165 Berlin, Germany, Rothenburgstr. 12, 12165 Berlin. Kontakt: tanja.straka@tu-berlin.de

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